KLEIDEN

Der Kittel

Während wir die Konzeption für unser neues erstes Obergeschoss fertig feilten, brachte uns ein Werner Bürger ein tolles Stück, das wir nun mit Stolz in dem neuen Bereich zeigen können: Eine Bergbauunifom. Es handelt sich um eine schwarze Jacke mit schwarzer Hose aus einem schweren Wollstoff, wobei die Jacke das erzählfreudigere Kleidungsstück der beiden ist. Der klassische „Bergkittel“ (wird meist bedeutungsgleich mit Berghabit verwendet, wobei in manchen Regionen das „Habit“ für Feierlichkeiten verwendet wurde und der „Kittel“ zum Arbeiten) hat ursprünglich 29 Knöpfe – einen für jedes Lebensjahr der heiligen Barbara, wenn man ihrer Legende Glauben schenkt. Die obersten drei wurden offengelassen, da sie sich drei Fenster in ihren Turm bauen ließ als Hinweis auf die Dreifaltigkeit des christlichen Gottes. Die Knöpfe glänzen meist golden und symbolisieren das Licht der Sonne, während der schwarze Stoff die Dunkelheit der Grube darstellt. Der Schulterkragen (eine ferne Erinnerung an den kurzen Umhang, der frühe die Jacke schmückte) schützte vor herabtropfendem Wasser, seine Zacken können aber auch als Stalaktiten interpretiert werden. Die Fransen an den Ärmeln dagegen sollen an den Docht der Grubenlampe erinnern.

Bergbaujacke, ca. 1950er, aus der Sammlung Stadtmuseum Werne

Detailaufnahme Ärmelapplikation Bergbaujacke

 

Am Oberarm sind auf herzförmigem Grund Symbole eingestickt, die auf die Tätigkeit hinwiesen: beispielsweise Hammer und Schlegel für Bergleute oder Tiegelzange und Abschlackeisen für Hüttenleute. Am Kragen zeigen zusätzlich Stickereien den Status des Trägers, war er beispielsweise Fahrsteiger, Obersteiger oder Betriebsführer. Bei unserer Uniform wurde dieses Feld entfernt, zum Glück jedoch konnte der Bürger, der die Kleidung brachte, uns mehr erzählen, denn sie gehörte seinem Vater Anton Stegemann:

Er war Betriebsführer auf der Zeche Werne. Online findet sich die Erinnerung eines Bergmannes, der als Junge verspätet einen Ausbildungsplatz suchte und zum Glück an Anton Stegemann geriert, der ihn aufnahm. Auch darüber hinaus muss er sich für andere eingesetzt haben, denn 1952 rettete er mehrere Bergleute nach einem Grubenunglück auf der Zeche. Er selbst starb 1953 an den Folgen des Einsatzes.

Von den ehemaligen Beamten der Zeche Werne, mit denen ich mich von Zeit zu Zeit unterhalten darf und die mir viele Details und Anekdoten aus ihrem Berufsleben schildern, habe ich gelernt, dass der Kittel mit Stolz getragen wurde und dass auf den korrekten Sitz ebenso viel Wert gelegt wurde wie auf korrektes Benehmen der Träger: Die Uniform sollte nicht in Verruf geraten. Der Kittel von Anton Stegemann wurde offenbar zu Lebzeiten in Ehre gehalten und ebenso sorgfältig nach seinem Tod aufbewahrt.

Ganz anders verhält es sich mit dem Kleidungsstück, das ich früher als Erstes mit dem Wort „Kittel“ in Verbindung brachte: dem Hauskittel meiner Oma. Sicherlich ist er in vielen Haushalten noch zu finden, wenn er auch nicht mehr flächendeckend im Einsatz ist. Ein meist ärmelloses etwas über knielanges Kleidungsstück zum Knöpfen – nicht Mantel, nicht Weste – eben Kittel. In den Schränken meiner Oma hingen gleich mehrere Varianten, die meisten mit wilden Blumenmustern bedruckt, wenige eher uni mit strengerem Kragen. Ich habe früher immer etwas gestaunt, warum dieses Kleidungsstück notwendig sein könnte und mich gewundert, warum meine Mutter keinen trug bei der Hausarbeit. Ich selber trage übrigens auch keinen, nicht mal eine Schürze binde ich beim Backen um, obwohl ich das vielleicht mal überdenken sollte. Meine Oma hatte einige Kleidungsgewohnheiten, die ich nicht nachvollziehen konnte, dazu gehörte auch eine Regenhaube für die sorgfältig aufgedrehten Haare und Hausschuhe mit Absatz, daher habe ich damals dem Kittel wenig weitere Aufmerksamkeit geschenkt.

Heute, als erwachsene und berufstätige Frau, sieht das anders aus: Warum diese „Hausfrauenuniform“? Die Antwort findet sich zügig: Es handelt sich wohl um eine Mischung aus sozialer Kontrolle und Absatzsteigerung für die Bekleidungsindustrie. Da findet sich zum einen die „Hoover Apron“, also eine Schürze, die Herbert Hoover (noch vor seiner Zeit als US-Präsident im Kontext der Ernährungsverwaltung während des 1. Weltkrieges) als Uniform der amerikanischen Hausfrau empfiehlt, wenn sie – überspitzt formuliert – durch gute Ernährung der Familie den Krieg unterstützt.

Mina C. Winkle, US Food Administration, 1917/18

 

Nach dem zweiten Weltkrieg ist die soziale Dimension vor allem in Europa noch viel stärker ausgeprägt: Frauen, die in den 1910er und 20er Jahren für das Frauenwahlrecht kämpften und in den Kriegsjahren Männerberufe übernommen hatten, sollten nun wieder Hausfrauen werden. Die Haushaltsarbeit erhielt einen „professionellen“ Anstrich, neue Geräte und Arbeitskleidung wurden beworben, so dass die moderne Hausfrau der 1950er Jahren mit hohen Eigenansprüchen häusliche Perfektion anstreben konnte. Ich finde das ziemlich bitter, denn die Arbeit, die die Frauen zu Hause leisteten, wurde im Vergleich zur Erwerbstätigkeit außer Haus nicht gesehen, gewürdigt oder gar entlohnt.

Kittel mit Ärmeln aus der Sammlung des Stadtmuseums Werne, Datierung unbekannt

Frau mit Kittel, vermutlich 1950er Jahre, Deutsche Fotothek

Diese Rollenbilder haben sich verschoben, heute ist es durchaus nicht positiv besetzt, wenn eine Frau sich entscheidet „nur“ Hausfrau zu sein, auch hier herrscht keine gelassene Wahlfreiheit. Nach wie vor wird die sogenannte Care-Arbeit eigentlich als Arbeit nicht anerkannt oder wirtschaftlich berücksichtigt. Sie wird zum überwiegenden Teil von Frauen übernommen, die deswegen oft beruflich weniger qualifizierte oder zeitintensive Berufe übernehmen, so dass sich die Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen viel zu langsam schließt. So gesehen müsste man den Kittel vielleicht wieder aufleben lassen, es sollten ihn dann aber alle Personen, egal welchen Geschlechts, tragen und ihre Stunden im Haushalt mal zählen, damit wir zu mehr Transparenz und Fairness gelangen.

 

Autorin: Dr. Constanze Döhrer, Stadtmuseum Werne

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